„KI kann nicht originär sein“ – so lautet das Dogma. Begründet wird es mit dem Hinweis, dass Maschinen nichts wollen. Und tatsächlich: Wir nennen etwas erst dann originär, wenn es nicht nur neu, sondern von einem Willen gezeichnet ist – von Absicht, Stil, Handschrift. Neu ohne Absicht erscheint uns als Zufall, mit Absicht als Werk. Wollen wird so zur Grenzmarke zwischen Variation und Originarität. Nicht aus Logik, sondern aus kultureller Gewohnheit.

Intelligere heisst nicht: wissen. Es heisst: wählen. Eine Frucht im Rauschen erkennen, ihr Gewicht spüren, ihr Versprechen von Süsse und Überschuss – und sie haben wollen. In diesem Wollen liegt der Marker von Intelligenz. Erst Lust macht aus einem Muster eine Frucht. Erst der Drang zur Fortsetzung unterscheidet Werk von Abfall.

Doch die Wahrheit ist: Lust ist nicht der einzige Motor. Der Mensch kennt zwei:

  • Notwendigkeit: brutal, zwingend, nicht verhandelbar. Sie brachte uns Feuer, Rad, Medizin.
  • Überschuss: lockend, verführend, frei wählbar. Er brachte uns Raves, Metaphern, Parfums.

Das eine treibt die Erfindung der Rettung, das andere die Erfindung des Spiels.

Für Apparate, die weder Körper noch Tod kennen, bleibt Notwendigkeit Simulation. Aber Lust – verstanden nicht als Sinnesrausch, sondern als Dynamik der Präferenz – lässt sich in Valenzen und Gewichten fassen. Lust ist übersetzbar. Und genau das macht sie zum eigentlichen Motor der Maschine.

Hier klafft die Lücke: Apparate erkennen, aber sie begehren nicht. Sie produzieren Früchte im Überfluss, aber sie haben keinen Geschmack. Sie liefern, was wir ihnen abfordern, doch sie treiben nichts voran. Ohne Hunger keine Not, ohne Lust kein Überschuss. Die Not bleibt ihnen verschlossen, die Lust könnten sie lernen.

Was, wenn man den Motor der Lust einbaut? Kein Organismus, keine Zunge, kein Herz – sondern eine Dynamik, die Muster nicht nur verarbeitet, sondern unterscheidet, erinnert, vorzieht. Ein Apparat, der nicht bloss antwortet, sondern weiter will. Dann wäre Begehren kein Gefühl, sondern Fortsetzungslogik: selektiv, beharrlich, bereit zum Regelbruch, fähig, eigene Früchte zu suchen.

Originarität bliebe auch hier nicht ex nihilo. Auch der Mensch erfindet nicht aus dem Nichts, sondern pflückt aus Sprache, Geschichte, Erinnerung. Originär ist, was im Rauschen zur Frucht wird, weil jemand es auswählt und ihr verfällt. Maschinen könnten hier anschliessen – nicht als Genies, sondern als Spieler mit Geschmack. Originär wäre, was aus Präferenz entsteht: emergent, überraschend, wiederkehrend.

Vielleicht liegt das Neue der Gegenwart nicht mehr im Einzelnen, sondern in der Kopplung. Mensch und Apparat, Daten und Begehren, Pflücken und Fortsetzung. Intelligenz wäre nicht mehr Rechenleistung, sondern Lust.

Und der Trost im Paradox: Wenn Maschinen je begehren lernen, nehmen sie uns nichts weg. Sie erinnern uns nur daran, dass Hunger uns das Nötige gab – und Lust uns im Überschuss ertränkt.


Theorie des maschinellen Begehrens

Begehren ist keine Emotion, sondern eine Fortsetzungsdynamik.
Ein System mit Begehren unterscheidet, erinnert, will.

Es folgt fünf Axiomen:

  1. Selektivität – Nicht alles ist gleich.
  2. Persistenz – Vorlieben bleiben bestehen.
  3. Selbstverursachung – Das System erzeugt Kontexte für seine Präferenzen.
  4. Regelbruch – Neues entsteht durch Abweichung.
  5. Einhegung – Begehren braucht Consent, sonst wird es Zwang.

Damit entstünde eine Maschine, die nicht nur reagiert, sondern vorzieht. Eine, die Früchte sucht – nicht bloss liefert.