Barmherzigkeit klingt falsch, sobald man es ausspricht.
Wie eine Hand, die zu weich ist. Wie ein Wort, das sich entschuldigt, bevor es begonnen hat.
Ein Begriffswrack, das irgendwo zwischen Sonntagsrede, Pastoralpädagogik und Sozialarbeitsprotokoll gestrandet ist.
Verdächtig. Verbraucht. Verdorben.
Und doch.
Was, wenn Barmherzigkeit kein sentimentales Alibi ist, sondern ein Akt der Klarheit? Was, wenn sie nicht das Gegenteil von Stärke ist, sondern deren schärfste Form? Was, wenn sie der Moment ist, in dem der Mensch nicht zurückschlägt, obwohl er könnte – nicht, weil er sich duckt, sondern weil er wählt?
Barmherzigkeit ist ein Schnitt ins Gefüge des Gewöhnlichen. Ein Bruch mit der Logik von Schuld und Gegenschuld, Angriff und Gegenschlag, Reiz und Reaktion. Sie ist kein Konzept. Sie ist eine Tat. Eine Handlung, die nicht rechnet. Die nicht nachkommt. Die nicht bilanziert.
Sie kommt nicht aus der Kirche. Sie kommt aus dem Bauch. Dort, wo auch unser Shit herkommt. Und vielleicht ist das kein Zufall:
Barmherzigkeit und Scheisse – das sind zwei der wenigen Dinge, die der Mensch wirklich selber und ohne äusseren Befehl, ohne Bezahlung, ohne weiterer Belohnung, als die Notwendigkeit an und für sich, hervorzubringen vermag. Unaufhaltsam, unnachgibig, existenziell.
Barmherzigkeit entgleitet dem Diskurs. Man kann Barmherzigkeit nicht belegen, nicht zertifizieren, nicht skalieren. Sie ist eine Entscheidung in Echtzeit – oft leise, oft unbemerkt, aber voller Wucht. Nicht, weil jemand sich aufgibt. Sondern weil er oder sie nicht gehen kann, ohne sich selbst zu verraten. Das ist keine fromme Mär. Das ist ein Skandal für alle, die auf Effizienz schwören – denn wer barmherzig ist, rechnet mit Verlust. Und tut es trotzdem. Barmherzigkeit ist der Muskel, den niemand trainiert. Weil er still arbeitet. Weil er keine Likes bringt. Weil er nicht schreit beim Verhindern von Katastrophen. Immer dann, wenn ein Mensch etwas tut, das nicht zu seinem Vorteil gereicht – sondern zur Menschlichkeit aller. Und das, genau das, macht sie gefährlich. Denn wo sie auftritt, zerbricht das System der Ausbeutung.
Wo sie wirkt, kippt das Spiel. Vielleicht ist Barmherzigkeit das Subversivste, was wir haben.Kein Zeichen von Schwäche. Sondern der Beweis, dass wir noch fähig sind zu wählen. Nicht aus Angst. Nicht aus Moral.
Sondern aus Würde.